16.

Den ganzen nächsten Tag über konnte Julia an nichts anderes denken als daran, was ihr Großvater gesagt hatte. Ich weiß, Simon mag dich.

Ihr Verstand schwirrte, dass ihr davon schwindelte. Wie lange war es her, dass ihre Mutter sie davor gewarnt hatte, sich zu verlieben? Vier Tage oder fünf? Hundert Jahre? War sie eine andere geworden? Etwas war mit ihr geschehen. In ihrem Innersten hatte sich ein Raum geöffnet. Sie stand an der Schwelle und wagte nicht einzutreten. Vielleicht, weil sie so wenig über Simon wusste. Sie kannte die Welt nicht, aus der er kam, und wusste nicht, welcher Art die Geheimnisse waren, die er mit sich herumtrug.

Hatte er sie wirklich gern?

Julia hoffte, Simon mal allein zu erwischen, um es herauszufinden, aber er ging ihr aus dem Weg. Seit dem Gespräch mit ihrem Großvater ahnte sie, was in ihm vorging. Wenn Simon wirklich mehr für sie empfand als Freundschaft, dann musste ihn ihr Verhalten im Buchladen verletzt haben. Im Nachhinein schämte sie sich für ihre unsensible Art. Vielleicht konnte sie es irgendwie wiedergutmachen.

Am späten Nachmittag besuchte Julia die Ziegenfamilie und schaffte es, dass der schwarze Ziegenbock ihr aus der Hand fraß. Als sie ein Bellen hörte, hob sie den Kopf und entdeckte Simon, der, gefolgt von Pepper, mit großen Schritten auf sie zukam. Lächelnd sah sie ihm entgegen, bis sie seinen finsteren Blick bemerkte. In seiner Rechten schwang Simon ein Papier. Als er nahe genug heran war, begriff sie, dass es der Zettel mit ihren Fragen war, die sie ihrem Großvater am Abend zuvor aufgeschrieben hatte. Sie hatte den Zettel auf dem Tisch liegen lassen und irgendwie musste Simon ihn entdeckt haben.

Mit funkelnden Augen hielt er ihr das Papier unter die Nase. »W-arum willst du all diese Dinge über m-m-mich wissen?« Seine Stimme klang zornig, die Hand zitterte. Simon ließ den Zettel fallen, der langsam zu Boden segelte. Pepper schnappte danach.

Julia stand da und wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie kannte den Grund, hatte es jäh begriffen, doch die Worte dafür lagen schwer wie Steine in ihr. Sie wurde rot und sah zu Boden. Nun war Simon wütend auf sie und das war schrecklich.

»Warum f-ragst du mich nicht, wenn du etwas über m-m-mich wissen willst?«

»Ich weiß auch nicht«, antwortete Julia geknickt. »Manchmal spüre ich, dass du mir etwas erzählen willst und es dann doch nicht tust. Vielleicht, weil du schon vorher Angst hast, dass du stottern wirst und es ewig dauert, bis du es raushast. Du glaubst, was du zu sagen hast, hat dann keinen Wert mehr für mich. Aber das stimmt nicht. Ich mag dich, Simon. Deshalb wollte ich mehr über dich wissen. Du erzählst ja nie freiwillig etwas von dir.«

Immer noch erregt, erwiderte er: »K-ann sein, es g-g-gefällt dir nicht, was ich zu erzählen habe.«

»Das macht nichts, weil . . .«

»Weil was?« Seine Augen verlangten eine Erklärung.

Julia machte einen Schritt auf Simon zu und drückte ihm einen Kuss auf die Lippen. Es schien ihr die einzig mögliche Antwort zu sein. »Das«, sagte sie, zog ihren Kopf zurück und lächelte vorsichtig.

So zutiefst verwirrt hatte sie ihn noch nie gesehen. Für einen Augenblick schien er völlig aus der Fassung, beinahe in Panik. Simon wurde erst rot unter seiner dunklen Haut und dann blass. Ein Schweißfilm bildete sich auf seiner Oberlippe und er schien vergessen zu haben, wie man atmet.

»Ruhig.« Julia berührte sein Gesicht mit beiden Händen. »Ganz ruhig, okay?«

Julia nahm ihn in die Arme, spürte die ruckartigen Schläge seines Herzens und das Zittern seiner Muskeln. Und da wusste sie, dass ihr Großvater sich nicht geirrt hatte.

Simon hielt sich an Julia fest und so standen sie eine ganze Weile, ohne dass einer von beiden etwas sagte. Er hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war, bevor er sich wortlos aus ihren Armen löste.

Er bückte sich zu Pepper und sagte: »Geh zurück zu Loui-Loui, mein Freund. Julia und ich wollen mal eine Weile allein sein.«

Pepper winselte, dann trottete er gehorsam zurück zur Ranch. Simon nahm Julias Hand und zog sie hinter sich her.

Julia stellte keine Fragen, als sie neben Simon durch die kniehohen Beifußsträucher hinauf in die Hügel lief. Es war der Weg, den er so viele Male alleine gegangen war. Wie oft hatte er sich in die Berge zurückgezogen, um allein zu sein und dem Klang der eigenen Gedanken zu lauschen. Hier konnte er vergessen, dass es die übrige Welt gab. Nur grasbewachsene Hügel, Beifußbüsche und schroffer Granit. Es war sein Schutzgebiet des Schweigens. Doch nun nahm er Julia mit dorthin. Weil er es plötzlich satthatte, einsam zu sein. Weil er jetzt wusste, wie es sich anfühlte, wenn jemand ihn mochte, wie er war.

Simon hatte begriffen, dass er Vertrauen haben musste, sonst würde er immer einsam sein. Er musste die Grenze überschreiten, sein Schutzgebiet verlassen und sich auf das Terrain begeben, wo all die anderen waren. Denn dort war auch Julia.

Doch obwohl Simon so glücklich war wie nie zuvor, konnte er sich diesem Gefühl nicht vollkommen ergeben. Wie soll es weitergehen?, fragte er sich. Würde er ohne Julias Umarmung leben können nun, da er wusste, wie einsam sein Körper bisher gewesen war? Was würde mit ihm passieren, wenn sie nicht mehr da war? Daran durfte er jetzt nicht denken. Nicht in diesem Augenblick. Julia war hier, bei ihm. Sie hatte ihn geküsst und er hatte diesen Kuss mit seinem ganzen Körper gespürt. Er spürte ihn immer noch.

Als das Beifußfeld endete, begannen die grasbewachsenen Berge. Weiße, blaue und rosafarbene Blumenkissen breiteten sich auf den samtenen Hügeln aus. Scharen kleiner indigoblauer Schmetterlinge umflatterten sie. Es waren Hunderte.

Simon strebte auf eine rötliche Felsgruppe zu, die aus dem Grasteppich wuchs wie eine kleine Festung. Dort befanden sich die Ritzzeichnungen der Vorfahren. Ada war dagegen, Neugierige hierherzuführen. Die genaue Beschreibung heiliger Stätten gegenüber Fremden war in ihren Augen ein Sakrileg. Aber Julia war keine Fremde.

Der Ort würde ihm die Kraft geben, ihre Fragen zu beantworten und ihr endlich zu sagen, dass er sie ebenfalls mochte.

Als sie die kantigen Granitbrocken erreicht hatten, zog er Julia hinauf, bis sie ganz oben standen. Von dort konnte man weit über das Tal blicken. Wie eine kleine dunkelgrüne Insel lag die Ranch mitten im silbergrauen Beifußmeer. Auf der anderen Seite bildeten die schneebedeckten Berge der Shoshone Range den Horizont.

Sie wandten der Ebene den Rücken zu, sodass sie auf die nahen Hügel und in ein kleines grünes Tal blicken konnten, durch das ein Bach floss. Niedrige Beerensträucher wuchsen am Bachlauf. Weiter oben standen die Pferde. Tobacco, der Appaloosa-Hengst, mit seiner kleinen Herde.

»Es ist wunderschön hier«, sagte Julia.

»Ich b-in oft hier oben.«

»Das dachte ich mir.«

»Komm, ich will dir etwas zeigen.«

Er half ihr, über die Felsen zu klettern, bis sie vor der Wand mit den Zeichnungen standen. Merkwürdige Linien und Kreise, die für ihn keinen Sinn ergaben. Aber dieser Ort barg eine große Kraft, das

spürte Simon jedes Mal, wenn er ihn besuchte.

Er ließ sich nieder und Julia setzte sich neben ihn.

»Sind die sehr alt?«, fragte sie.

»Ja. Mehrere Tausend Jahre, behauptet deine Großmutter.«

»Weißt du, was sie bedeuten?«

Er schüttelte den Kopf. »Deine Granny sagt, manches müsse eben ein Geheimnis bleiben, um seine Kraft zu bewahren.«

Langsam spürte Simon, wie die Macht des Ortes zu wirken begann und sein Mut wuchs. »Du kannst mich jetzt fragen.«

»Was?«

»Na, alles, was du über m-ich wissen willst.«

Überrascht sah sie ihn an. »Und du wirst mir antworten?«

»Ich . . . ich werde mir Mühe geben.«

Nach einigem Zögern hob sie ihre Hand und schob sie unter sein Haar in die Halsbeuge, um vorsichtig seine wulstige Narbe zu berühren. Das war ihre erste Frage, eine, für die sie keine Worte brauchte.

Und so begann Simon im Schatten des Felsens die längste Rede, an die er sich erinnern konnte. Er erzählte von sich und von seiner Kindheit, die nie eine gewesen war. Julia saß dicht bei ihm. Ihre Nähe zu spüren, beruhigte ihn.

Die ersten Jahre seines Lebens hatte Simon in Winnemucca verbracht. An seinen Vater konnte er sich nicht erinnern, er verschwand, als Simon drei war. Seine Mom herzte und küsste ihn, wenn sie nüchtern war. War sie es nicht, schrie sie herum und manchmal schlug sie auch zu. Liebesbekundungen und Wutausbrüche wechselten einander ab. Die Unberechenbarkeit seiner Mutter verunsicherte Simon. Er wurde immer trotzköpfiger und verstockter. Damals war er noch zu klein, um zu begreifen, warum seine Mutter nicht war wie andere Mütter. Für ihn war sie der Mittelpunkt der Welt, um den sich alles drehte. Von ihr kamen Essen und Wärme und Versprechungen. War sie betrunken, setzte es Schläge, er spürte, was Hunger war, und musste erfahren, dass Versprechungen nur leere Worte sein konnten.

Simon sprach ruhig, fast ohne zu stottern, was ihn selbst am meisten wunderte. Er erzählte Julia, wie er sich als Fünfjähriger eines Tages den ganzen Nachmittag im Schlamm gesuhlt hatte und seine Mutter böse auf ihn war, weil er dreckverschmiert ins Haus kam. Sie machte Wasser auf dem Herd heiß für die Zinkwanne, die auf der Veranda stand. Aber es war Mai und noch kühl und er fror und wollte sich nicht ausziehen. Mit wildem Gezeter zerrte sie ihm den Pullover samt Hemd über den Kopf. Zähneklappernd stand er da, mit nacktem Oberkörper, und weigerte sich, aus seinen schlammigen Hosen zu steigen. Seine Mutter brüllte ihn an. Der Alkohol war in ihrer Stimme, in ihrem Atem und sie hielt den Topf mit dem heißen Wasser in den Händen.

»Ich weiß nicht, ob sie das wollte, ob sie mich so verletzen wollte«, sagte er. »Aber sie hat es g-etan.« Wenn er nur daran dachte, hatte er immer noch sein eigenes Brüllen im Ohr.

Danach hatte Simon monatelang kein Wort geredet. Der Schock darüber, was seine Mutter ihm angetan hatte, saß tief. Schließlich begann er doch wieder zu sprechen, aber die Worte kamen nur noch in Purzelbäumen oder mit Ladehemmung aus ihm heraus.

Mit seinen schweren Verbrennungen lag er lange im Krankenhaus, doch als seine Wunden verheilt waren, schickten sie ihn nach Hause zurück. Von da an war er auf der Hut. Er mied den Blick seiner Mutter und gehorchte stets ihren Anordnungen.

Als Simon zehn war, wurde seine Mutter zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, weil sie im Supermarkt, in dem sie als Aushilfskraft arbeitete, Geld gestohlen hatte. Man brachte Simon in ein Heim und übergab ihn später der Obhut einer Pflegefamilie. Im Alter von vierzehn Jahren hatte er sieben Pflegefamilien durchlaufen. Schließlich verließ er die Schule ohne Abschluss und schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch.

»Weißt du, niemand hat es mir beigebracht«, sagte er niedergeschlagen. »Ich meine, wie man liebt.«

Er sah Julia ins Gesicht, ihre Augen hatten sich zu einem warmen Meeresgrün verdunkelt. Simon spürte, dass sie wirklich da war, hier bei ihm und seiner Geschichte. Und ihr Mitgefühl war die natürlichste Sache von der Welt.

»Manchmal habe ich Angst, dass ich wie meine Mutter werde«, sagte er. »Ich kann nichts Gutes tun und nichts Schönes vollbringen, weil ich ein Teil von ihr bin und immer ein Teil von ihr sein werde.«

Julia bewunderte Simon. Jahrelang hatte er alles getan, damit keiner seine Verletzungen bemerkte, die ein Teil seines Wesens geworden waren. Nun hatte er sich ihr gegenüber geöffnet. Simon vertraute ihr. Sie hätte ihn umarmen können vor Freude, aber das hätte ihn wohl nur noch mehr durcheinandergebracht.

Stattdessen nahm sie seine Hände. »Das ist nicht wahr«, widersprach sie mit rauer Stimme und kämpfte gegen die Tränen an. Ein dicker Kloß in ihrer Kehle hinderte sie am Sprechen. So fühlte sich das also an, wenn man etwas sagen wollte und es nicht konnte.

»Du tust so viel Gutes«, brach es schließlich aus ihr heraus. »Für meine Großeltern, für Tommy, für alle, die deine Hilfe brauchen.«

»Ach, das ist doch mein Job.«

»Dein Job?« Ungläubig schüttelte sie den Kopf. »Bezahlt dich Grandma überhaupt?«

Simon nickte verlegen. Er nahm einen Stein auf und spielte damit.

»Was bekommst du denn im Monat?«

»Einhundertfünfzig Dollar.«

Das verschlug ihr für einen Moment die Sprache. Simon schuftete von morgens bis abends, kannte kein Wochenende und bekam einen Hungerlohn dafür. In diesem Augenblick schämte Julia sich

schrecklich für ihre Großmutter.

Simon sah sie an und lächelte schief. »Nicht die Wucht, oder?«

Julia schüttelte vehement den Kopf. »Karl Marx würde sich im Grab herumdrehen.«

Simon lachte und ließ den Stein von einer Hand in die andere fallen. »Ach, na ja. Ich darf die Autos fahren, Kost und Logis sind frei und sämtliche Indianerweisheiten auch.«

»Und im Winter gibt es statt Heizung einen heißen Stein in Zeitung gewickelt. Wie hast du diese lukrative Arbeitsstelle samt luxuriöser Unterkunft überhaupt gefunden?«

Es erstaunte Julia, wie locker sie sich auf einmal unterhalten konnten. Simon stotterte überhaupt nicht mehr. Ob ihm das wohl schon aufgefallen war?

»Vergangenen Sommer war ich hier in der Gegend auf Jobsuche«, antwortete er.

Julias Augen wurden zu Halbmonden. »Wolltest du etwa in der Mine arbeiten?«

Entsetzt schüttelte er den Kopf. »Oh nein, bestimmt nicht.«

Sie erfuhr, dass Dominic, der große Koch ihn auf dem Weg zum Western-Shoshone-Sommertreffen an der Straße aufgelesen und festgestellt hatte, wie hungrig und zerlumpt er war. Dominic hatte für Simon gekocht, hatte ihm neue Kleider besorgt und ihn in seinem Zelt schlafen lassen. Und Simon hatte das Seine getan, um sich dafür zu bedanken. Er hatte mitgeholfen, das Küchenzelt aufzubauen und während des Treffens die Mahlzeiten zuzubereiten.

Nach der Zusammenkunft war er mit Dominic und einigen anderen auf die Ranch gekommen. Er hatte im Camp gelebt und war Juli-as Großvater zu Hand gegangen. Sehr schnell hatte Simon den alten Mann, der immer freundlich zu ihm war, ins Herz geschlossen.

»Als es Winter wurde, zogen die anderen ab. Irgendwann kam dein Grandpa und bot mir an, in den Wohnwagen zu ziehen, weil ich dann morgens nicht mehr so einen weiten Weg zum Ranchhaus hatte.« Er sah Julia an, mit seinen schwarzen, durchdringenden Augen. »Ich habe ihn gern, den alten Mann. Und wahrscheinlich mag er mich auch ein bisschen.«

Julia blickte den Hügel hinauf und sah, wie die Pferde zum Bach hinabliefen, um zu trinken. Wie lebendige Perlen auf einer Schnur.

»Fühlst du dich nie einsam hier draußen?«, fragte sie.

»Ich bin gerne allein.«

»Und was ist mit Mädchen?«

»M-ädchen?« Er sah sie so verwundert an, dass sie lachen musste.

»Na ja«, sagte sie, »du weißt schon.«

Simon zuckte mit den Achseln. »Ich fürchte, ich bin k-eine gute Partie. Ein Stotterheini ohne Besitz mit lumpigen einhundertfünfzig Dollar im Monat.«

»Stimmt«, sagte Julia. Sie blickte in seine Augen und sah das Lächeln darin. Auch sie lächelte.

»Kannst du es noch mal tun?«, fragte er im Flüsterton.

»Was?«

»Na das.«

Ohne Simon aus den Augen zu lassen, beugte Julia sich zu ihm hinüber und er kam ihr mit seinem Gesicht entgegen. Ihr Mund war weich und offen. Er nahm ihre Unterlippe zwischen seine Lippen, und als ihre Zungen sich in ihrem Mund trafen, fühlte er eine eigenartige Schwere in sich, als ob die Anziehungskraft der Erde plötzlich zunehmen würde. Nie zuvor hatte er sich so gefühlt und nichts ließ sich damit vergleichen.

Es war sein erster richtiger Kuss und er hoffte, sie würde es nicht merken. Dann konnte Simon an nichts anderes mehr denken als an das Unglaubliche, das ihm passierte. Er küsste sie wieder. Und wieder.

Irgendwann lösten sie sich voneinander, um Atem zu schöpfen.

»Wow!«, sagte Simon. Erst hatte Julia Adas Kombi in Flammen aufgehen lassen und nun brannte er. Lichterloh.

»Ist was?« Julia sah ihn schief von der Seite an.

»Nein. Nichts.«

»Kannst du mir einen Gefallen tun?«

»Klar.« Alles würde ich für dich tun.

»Könntest du meinen Zopf neu flechten?«

»Aber...«Er hatte mit allem Möglichen gerechnet, nur damit nicht.

»Wenn ich es selbst mache, wird der Zopf nie richtig fest.« Sie holte ihren schweren Zopf nach vorn, löste das Gummiband und fuhr mit den Fingern durch die Strähnen, bis ihr Haar offen war. Dann wandte sie ihm den Rücken zu.

Okay, Simon, sagte er sich, das wirst du doch hinkriegen.

Er unterteilte ihr Haar in drei dicke Strähnen und begann zu flechten.

»Fester«, sagte Julia.

Simon mühte sich redlich, aber seine Hände zitterten dabei. Er hatte noch nie einem Mädchen die Haare geflochten und es war beinahe so aufregend wie küssen. Julias Haar knisterte unter seinen Fingern, es war heiß von der Sonne. Unseligerweise fiel ihm in diesem Augenblick Ian wieder ein. Ob Julia ihn auch gebeten hatte, ihr die Haare zu flechten?

Er war am unteren Ende des langen Zopfes angekommen. Julia reichte ihm den Haargummi und bedankte sich.

Simon fasste sich ein Herz und fragte sie, ob Ian ihr etwas bedeuten würde.

»Er ist nett«, erwiderte Julia, »das ist alles.« Sie drehte sich zu ihm um und nahm seine Hand. »Was denkst du von mir, Simon? Dass ich dich küsse, während ich einen anderen im Kopf habe?«

Er hob die Schultern. »Ich weiß nicht, was in den Köpfen von Mädchen vorgeht.«

»Eine Menge.« Julia lächelte. »Und was geht in deinem Kopf vor?«

»Ach, ich glaub nicht, dass du das wissen willst.«

»Ich will alles über dich wissen.«

»Aber da ist nicht viel, wirklich. Was ich dir erzählt habe, war schon alles.«

»Ich darf immer noch fragen, oder?«

»Klar.«

»Was willst du denn mal werden?«

»Was ich mal werden will?« Entgeistert sah er sie an.

»Na, als du noch klein warst, hast du dir da nie gewünscht, Polizist zu werden, Astronaut oder Zirkusclown?«

Simon schüttelte den Kopf. »Nein, nie.«

»Du musst dir doch irgendetwas gewünscht haben?«

»Einen Ort wie diesen.«

»Dann bist du also wunschlos glücklich.«

Simon zögerte einen Moment. »Ich war es.«

Er spürte Julias Blick. Sie wollte wissen, was er dachte, was er damit meinte. Aber sie fragte nicht. Sie wartete, bis er von selbst zu sprechen begann.

Die verborgene Seite des Mondes
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